Sonntag, 27. Oktober 2013

Vergangenheiten.

Was sich verändert hatte, wollte er von mir wissen. Er klappte den Zeigefinger aus der Faust wie eine Messerklinge, „und komm mir nicht mit diesem ‚Elftenseptember’.“ Ich wusste was er meinte: die Ausrede des Jahrhunderts.

Ich sagte, wenn man früher bei einem Konzert vom Rang aus runtersah, war da gelegentlich diese Glühwürmchenwiese aus Feuerzeugflammen. „Was hast du für Konzerte besucht“, er war fassungslos, aber nur zum Schein.

Wir mögen beide keine Sentimentalitäten, also auch kein „Weißtdunoch“ für die feinen Konzerte, bei denen Wertschätzung durch das Schmeißen voller Bierdosen zum Ausdruck gebracht wurde. Heute leuchten statt Feuerzeuge Handydisplays in Kühlsilber. „Vor ein paar Jahren hab’ ich noch das Thermometer an meinem Fenster abgelesen. Inzwischen gehe ich in’s Netz, wenn ich die Außentemperatur wissen will.“

Auf meine Frage, ob er immer noch gern in’s Kino gehe, erzählte er von einer Fahrt auf dem Sunset Boulevard. Er war mit einem Mietwagen aus New York nach Los Angeles gekommen und sein deutscher Gastgeber hatte ihm zum Empfang Koks und Rotwein vorgesetzt. Nachts war er in einen katatonischen Zustand verfallen und hatte die Bettdecke vollgekotzt, die ihm mit der Bemerkung überreicht worden war, dies sei das einzige echte Daunenfederbett in ganz Los Angeles.

Mitten in der Nacht war er mit dem Federbett in’s Auto gestiegen und losgefahren, um eine Reinigung zu suchen. Zu seinen kanonischen Vorstellungen von Amerika gehörte, daß Reinigungen rund um die Uhr geöffnet haben. Der einziges Ort in LA, an den er sich in seinem Zustand erinnern konnte, war der Sunset Boulevard. Also fuhr er 2 Stunden lang mit der besudelten Decke auf der Beifahrerseite über Freeways und erreichte – wie, wird sich nie wieder klären lassen – den Sunset Boulevard. Am Morgen wachte er auf dem Parkplatz einer Reinigung auf, sie war immer noch geschlossen, also machte er sich auf den Rückweg, allerdings hatte er vergessen, wo sein Gastgeber wohnte.

Wir gingen. An einer Ampel saß ein dickes, blödes Kind auf einem kleinen roten Fahrrad und wollte wissen, ob ich ihm sagen könne, ob es rot oder grün sei? Neben dem dicken, blöden Kind war noch eines, das grinste. Ich schaute die Kinder an und dachte: „Das ist die Zukunft. Die Jugend.“

Ich meinte: „Rot reimt sich nicht, Grün auch nicht. Beide schon gar nicht. Deshalb ist es immer blau. Was anderes gibt es gar nicht.“

Der, der gegrinst hatte, rückte ein Stück weg von mir. Der dicke Blöde hatte noch einen ausgekuppelten Rest Lachen laufen. Er wollte, daß der andere mitlacht, aber der konnte nicht mehr.

So machen das alle Fundamentalisten. Es ist der Kampf um’s Lachen, der nun geführt wird.

Ein Tag wie ein Jahr – wir gingen.

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