Was sich verändert hatte, wollte er von mir wissen. Er klappte den
Zeigefinger aus der Faust wie eine Messerklinge, „und komm mir nicht mit
diesem ‚Elftenseptember’.“ Ich wusste was er meinte: die Ausrede des
Jahrhunderts.
Ich sagte, wenn man früher bei einem Konzert vom
Rang aus runtersah, war da gelegentlich diese Glühwürmchenwiese aus
Feuerzeugflammen. „Was hast du für Konzerte besucht“, er war
fassungslos, aber nur zum Schein.
Wir mögen beide keine
Sentimentalitäten, also auch kein „Weißtdunoch“ für die feinen Konzerte,
bei denen Wertschätzung durch das Schmeißen voller Bierdosen zum
Ausdruck gebracht wurde. Heute leuchten statt Feuerzeuge
Handydisplays in Kühlsilber. „Vor ein paar Jahren hab’ ich noch das
Thermometer an meinem Fenster abgelesen. Inzwischen gehe ich in’s Netz,
wenn ich die Außentemperatur wissen will.“
Auf meine Frage, ob
er immer noch gern in’s Kino gehe, erzählte er von einer Fahrt auf dem
Sunset Boulevard. Er war mit einem Mietwagen aus New York nach Los
Angeles gekommen und sein deutscher Gastgeber hatte ihm zum Empfang Koks
und Rotwein vorgesetzt. Nachts war er in einen katatonischen Zustand
verfallen und hatte die Bettdecke vollgekotzt, die ihm mit der Bemerkung
überreicht worden war, dies sei das einzige echte Daunenfederbett in
ganz Los Angeles.
Mitten in der Nacht war er mit dem Federbett
in’s Auto gestiegen und losgefahren, um eine Reinigung zu suchen. Zu
seinen kanonischen Vorstellungen von Amerika gehörte, daß Reinigungen
rund um die Uhr geöffnet haben. Der einziges Ort in LA, an den er sich
in seinem Zustand erinnern konnte, war der Sunset Boulevard. Also fuhr
er 2 Stunden lang mit der besudelten Decke auf der Beifahrerseite über
Freeways und erreichte – wie, wird sich nie wieder klären lassen – den
Sunset Boulevard. Am Morgen wachte er auf dem Parkplatz einer Reinigung
auf, sie war immer noch geschlossen, also machte er sich auf den
Rückweg, allerdings hatte er vergessen, wo sein Gastgeber wohnte.
Wir
gingen. An einer Ampel saß ein dickes, blödes Kind auf einem kleinen
roten Fahrrad und wollte wissen, ob ich ihm sagen könne, ob es rot oder
grün sei? Neben dem dicken, blöden Kind war noch eines, das grinste. Ich
schaute die Kinder an und dachte: „Das ist die Zukunft. Die Jugend.“
Ich
meinte: „Rot reimt sich nicht, Grün auch nicht. Beide schon gar nicht.
Deshalb ist es immer blau. Was anderes gibt es gar nicht.“
Der,
der gegrinst hatte, rückte ein Stück weg von mir. Der dicke Blöde hatte
noch einen ausgekuppelten Rest Lachen laufen. Er wollte, daß der andere
mitlacht, aber der konnte nicht mehr.
So machen das alle Fundamentalisten. Es ist der Kampf um’s Lachen, der nun geführt wird.
Ein Tag wie ein Jahr – wir gingen.
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