„Asseln haben 200 Millionen Jahre überlebt“, sagte S. Er drehte den
Stein neben dem Hauseingang wieder um. „Hätte man damals 10 € auf 3%
verzinst angelegt, man wäre heute die reichste Assel der Welt. Du
könntest Bill Gates zum Geburtstag die Schweiz schenken.“
Wir
hatten uns gut 10 Jahre nicht gesehen. Manchmal ist es dann, als sei
einer nur mal kurz zur Tanke gewesen, um was zu trinken zu holen – eine
Dose Leben.
An S. mag ich, dass seine Absichten, die stets
kristallklar beginnen, immer zu unfassbaren Merkwürdigkeiten führen und
ihn der Mut zum Wahnsinn trotzdem noch nie verlassen hat.
Einmal hatte
er auf einem Flohmarkt ein mehrhundertseitiges – in einer reizvollen
Geheimschrift abgefasstes – Manuskript erworben. 2 Jahre lang
widersetzten sich die Zeichen jedem Entzifferungsversuch, und S. fühlte
sich an die gleichfalls ungeknackte, 3700 Jahre alte, minoische
Linearschrift-A erinnert. Dann lernte er zufällig auf einer Party eine
Verwandte des Verfassers kennen, und es stellte sich heraus, dass es
sich bei seinem Manuskript um kein verschlüsseltes Mysterium handelte,
sondern um eine von einem analphabetischen Onkel erfundene Schrift.
Wir
gingen durch eine Fußgängerzone, und auf den glänzenden Steinplatten
lag eine Pfütze. An einem abgestellten Fahrrad flammte im Rücklicht die
Nachmittagssonne auf. Wir wollten an den See. Es war der erste Tag im
Sommer, an dem der Angler wieder am Ufer war, der seine Armbanduhr an’s
Fußgelenk bindet, damit er im Liegen bequem die Zeit ablesen kann – der
erste Tag an dem die durchsichtige Weite, durch die man so läuft sich
aufknöpfte, wie die Menschen, die ihre Jacken aufknöpften. Wir setzten
uns ein Stück weiter neben den Angler und schauten auf die Stadt, und S.
pfiff ein Hip-Hop-Stückchen, in jenem schaurigen Timbre, mit dem
Hausfrauen beim Bügeln Operettenmelodien pfeifen......
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